Erhebliche Planungsvorteile sind auszugleichen

Samuel Kissling, Leiter Recht EspaceSuisse
Donnerstag, 30.06.2022
Bei Um- und Aufzonungen können erhebliche Mehrwerte entstehen. Die Kantone und Gemeinden müssen dafür sorgen, dass diese angemessen ausgeglichen werden. Zu diesem Schluss kam das Bundesgericht in einem lang erwarteten Urteil. Der Fall sorgte für Aufsehen – nicht zuletzt, weil viele Kantone und Gemeinden nun ihre Gesetzgebung überprüfen müssen.
Aus raumplanerischer Sicht ist auch in Zukunft ein Ausgleich erheblicher Planungsvorteile bei Auf- und Umzonungen unumgänglich. (Foto: Monika Zumbrunn, EspaceSuisse)

Lange herrschte Uneinigkeit, ob die Kantone neben der Minimalregelung – 20 Prozent bei Einzonungen – auch den allgemeinen Gesetzgebungsauftrag von Artikel 5 Absatz 1 des Raumplanungsgesetzes (RPG) umsetzen müssen, nämlich alle erheblichen Planungsvorteile auszugleichen. Dies hiesse, dass auch Um- und Aufzonungen, die einen erheblichen Mehrwert bewirken, mehrwertausgleichspflichtig sind. Nun hat das Bundesgericht Klartext gesprochen – und dies nicht zum ersten Mal.

Der Mehrwertausgleich im RPG

Der Mehrwertausgleich an sich ist nichts Neues. Das Raumplanungsgesetz (RPG) hält die Kantone bereits seit 1980 dazu an, einen angemessenen Ausgleich für erhebliche planungsbedingte Vor- und Nachteile zu schaffen (Art. 5 Abs. 1 RPG). Trotzdem dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis alle Kantone so weit waren. Erst das revidierte RPG (RPG 1) sorgte ab 2014 mit strengen Übergangsbestimmungen für den nötigen Druck. Es gab den Kantonen fünf Jahre Zeit, die notwendigen Regelungen einzuführen. Um allfälligen Sanktionen zu entgehen, mussten die Kantone als Minimalregelung bei Einzonungen eine Abgabe von 20 Prozent vorsehen.

Der allgemeine Auftrag zum Mehrwertausgleich bleibt

Das oberste Gericht hat sich in einem aktuellen Urteil aus der Berner Gemeinde Meikirch eingehend mit dem bundesrechtlichen Auftrag zum Mehrwertausgleich auseinandergesetzt. Es bezog sich dabei auf eben diesen Gesetzgebungsauftrag von Artikel 5 Absatz 1 RPG. Dieser verlangt von den Kantonen seit 1980, für einen «angemessenen Ausgleich erheblicher Planungsvor- und -nachteile» zu sorgen. Diese Bestimmung beziehe sich insbesondere auch auf Planungsvorteile bei Auf- und Umzonungen, so die Lausanner Richter. Einzonungen hingegen seien mit der 2014 (Inkrafttreten RPG 1) eingeführten Minimalregelung eingehender geregelt worden (Art. 5 Abs. 1bis RPG). Von einer Abschwächung der bundesrechtlichen Mehrwertausgleichsregelung war während des Gesetzgebungsverfahrens nie die Rede gewesen (Raum & Umwelt 3/2021, siehe Kasten «Mehrwertausgleich» weiter unten).

Der Entscheid Meikirch liegt auf der Linie früher ergangener Urteile (Münchenstein II, siehe Kasten «Die aktuellen Urteile zum Mehrwertausgleich im Wortlaut» weiter unten). Das Bundesgericht wiederholt frühere Aussagen und leitet daraus die Beurteilung im Fall Meikirch ab. Dabei weist es die Kritik an seinen früheren Darlegungen kurz, aber deutlich zurück. Dass das Urteil «nur» in Dreierbesetzung gefällt wurde, zeigt, dass das Bundesgericht keinerlei Anlass sieht, von der bisherigen Praxis abzuweichen.

Umsetzung und Überwachung

Das Bundesgericht legt dar, dass entweder der Kanton selbst oder die Gemeinden den Gesetzgebungsauftrag erfüllen müssen. Zwar könne der Kanton die Umsetzung des Gesetzgebungsauftrags zum Mehrwertausgleich bei Um- und Aufzonungen an die Gemeinden delegieren – auch wenn er in erster Linie verpflichtet sei, seine Gesetzgebung an die Vorschriften des RPG anzupassen. Dies entbinde den Kanton aber nicht von der Pflicht, die Erfüllung zu überwachen und durchzusetzen.

Das oberste Gericht hat in seinem Urteil den Kanton Bern und die Gemeinde Meikirch schliesslich «eingeladen», den Mehrwertausgleich im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 RPG bundesrechtskonform zu regeln.

Die Kantone sind gefordert

Das Urteil wurde in der Fachwelt mit Spannung erwartet, denn auch andere Gemeinwesen werden ihre Gesetzgebungen zum Mehrwertausgleich überprüfen und bei Bedarf anpassen müssen. Dabei dürften die Kantone im Vordergrund stehen. Sie verfügen – und auch das hält das Bundesgericht fest – über einen grossen Spielraum für die Regelung. Dieser beziehe sich nicht nur auf die Frage, ab wann ein Vorteil erheblich und welcher Ausgleich (Höhe des Ausgleichssatzes) angemessen ist, sondern auch auf die Instrumente beziehungsweise die Mittel, mit denen der Ausgleich erfolgt. Zumindest im allgemeinen Bereich des Mehrwertausgleichs (Abs. 1), der über die Minimalregelung von Absatz 1bis hinausgeht, sollten deshalb auch vertragliche Lösungen möglich sein.

Auch wenn die Übergangsfrist von RPG 1 abgelaufen ist (siehe Kasten «Der Mehrwertausgleich im RPG» oben), tun die Kantone gut daran, ihre Regelungen – falls nötig – an das Bundesrecht anzupassen. Dies schafft Rechtssicherheit – auch für die Gemeinden, die sonst ein gleiches Schicksal ereilen könnte wie die Gemeinde Meikirch.

Schmiermittel der Verdichtung

Der Mehrwertausgleich ist weit mehr als nur die gesetzgeberische Umsetzung eines zwingenden Auftrags. Er stellt ein wichtiges Instrument dar zur Umsetzung von RPG 1 und insbesondere zur qualitätsvollen Innenentwicklung – ein «Schmiermittel der Verdichtung», wie er auch oft bezeichnet wird. Das Geld wird einerseits benötigt, um eine hochwertige Verdichtung zu ermöglichen, und andererseits um die erforderlichen Rückzonungen zu finanzieren. Nur so kann das vom Gesetzgeber als Einheit konzipierte Ausgleichssystem überhaupt funktionieren; nur so dient es dazu, den Verfassungsauftrag zu erfüllen. Ausserdem zeigen die Erfahrungen, dass die Bevölkerung eher bereit ist, Verdichtungen mitzutragen, wenn sie an den Mehrwerten teilhaben können – also beispielsweise über den Mehrwertausgleich Frei- und Grünräume in ihrer Gemeinde aufgewertet werden.

Ausblick

In den Beratungen zur zweiten Etappe der RPG-Revision (RPG 2) wird derzeit im Parlament erneut über die Frage diskutiert, ob erhebliche Mehrwerte aus Um- und Aufzonungen ausgleichspflichtig sein sollen (siehe Kasten unten «Mehrwertausgleich in der Politik»). Es wird argumentiert, die Mehrwertausgleichspflicht bei Um- und Aufzonungen erschwere, ja, verhindere bisweilen gar die Innenentwicklung. Richtig ausgestaltet ist dies jedoch keineswegs der Fall. Das Entscheidende dabei: Im Gegensatz zu Einzonungen sollte der Mehrwertausgleich bei Um- und Aufzonungen projektbezogen im Hinblick auf die konkrete bauliche Mehrnutzung fällig werden und dies auch erst dann, wenn eine Mehrnutzung realisiert wird (sog. «Basler Modell»). So gehandhabt, wird der Mehrwertausgleich von den betroffenen Grundeigentümerschaften eher unterstützt statt bekämpft. Auch dieser Regelungsspielraum steht den Kantonen zu.

Es ist von Vorteil, wenn der Mehrwertausgleich vertraglich vereinbart wird. Dadurch kann die Grundeigentümerin oder der Grundeigentümer erheblichen Einfluss auf die Verwendung nehmen. Die Gelder werden in diesem Fall regelmässig direkt im Umfeld der Bauprojekte eingesetzt. Dies erhöht wie erwähnt die Akzeptanz der Abgabe bei den Betroffenen und reduziert in hohem Mass die Opposition gegen die baulichen Massnahmen.

Wird auf den Mehrwertausgleich bei Um- und Aufzonungen generell verzichtet, wird dies die avisierte Innenentwicklung nicht fördern, sondern behindern. Die Bevölkerung wird deutlich weniger bereit sein, Verdichtungen mitzutragen. Denn ohne gleichzeitig erfolgende Massnahmen, die den individuellen Wohnwert und den unmittelbaren Lebensraum im Quartier aufwerten, sind regelmässig Beschwerden vorprogrammiert – wie sich ja zuweilen schon jetzt zeigt. Es bleibt also dabei: Aus raumplanerischer Sicht ist auch in Zukunft ein Ausgleich erheblicher Planungsvorteile bei Auf- und Umzonungen unumgänglich.

Die aktuellen Urteile zum Mehrwertausgleich im Wortlaut

BGE 142 I 177 (Münchenstein I BL) in Urteilssammlung (US) EspaceSuisse Nr. 5224 (im Abonnement – bitte einloggen)

BGE 147 II 225 (Münchenstein II BL) in US EspaceSuisse Nr. 5911 (siehe auch KISSLING SAMUEL, Um- und Aufzonungen finanzieren die Innenentwicklung mit, in: EspaceSuisse, Inforaum 1/2021)

Urteil BGer 1C_233/2021 (Meikirch BE) in US EspaceSuisse Nr. 6264

Mehrwertausgleich

Mehr Informationen zu den planungsbedingten Vor- und Nachteilen finden Sie auf der Website von EspaceSuisse – dazu auch eine Tabelle mit einer Übersicht über die Bestimmungen in den einzelnen Kantonen und die kantonalen Bestimmungen im Wortlaut.

Ausführlich zum Spannungsverhältnis zwischen Absatz 1 und 1bis von Artikel 5 RPG:
JUD BARBARA/KISSLING SAMUEL, Der Auftrag zum Mehrwertausgleich, Zur Tragweite der bundesrechtlichen Vorgaben (Art. 5 RPG) bei Auf- und Umzonungen, in: EspaceSuisse, Raum &Umwelt 3/2021.

Mehrwertausgleich in der Politik

Das erwähnte Urteil Meikirch BE hat in der Politik bereits für Reaktionen gesorgt. So wurde im Rahmen der ständerätlichen Beratungen zur zweiten Teilrevision des RPG (RPG 2) zum Bauen ausserhalb der Bauzone ein Einzelantrag einstimmig angenommen. Dieser will den Kurs des Bundesgerichts korrigieren. Die Kantone sollen explizit nur noch zur Umsetzung der Minimalregelung (20 % bei Einzonungen) verpflichtet werden.

Dieser Antrag erstaunt umso mehr, als dass der Ständerat gleichzeitig den Verwendungszweck des Mehrwertausgleichs erweitern will: Er ergänzte Artikel 5 RPG in dem Sinne, dass der Abbruch nicht mehr benötigter Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzone primär über den Mehrwertausgleich finanziert werden soll – zusätzlich zur Finanzierung einer qualitätsvollen Innenentwicklung, wie es die erste Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) im Sinn hatte. Damit noch weitere Aufgaben über diesen Topf finanziert werden könnten, müsste dieser genügend gefüllt sein. Gerade dies dürfte aber in den wenigsten Kantonen der Fall sein.

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