Die Qualität des Wohnumfeldes steigern – dank Innenentwicklung?

Prof. Dr. Joachim Schöffel, Institut für Raumentwicklung, Ostschweizer Fachhochschule OST
Dienstag, 15.08.2023
Der Werkzeugkasten Wohnumfeld skizziert für Gemeinden und Eigentümer planerische Wege, um im Zuge von Innenentwicklungsprojekten eine hohe Qualität im Wohnumfeld zu erreichen. Er zeigt mit Qualitätskriterien und 11 Handlungsansätzen auf, wie eine hohe Qualität eingefordert werden kann und liefert mit dem «Wohnumfeldcheck» die in Planungsprozessen notwendigen Argumente.
Das private Wohnumfeld in der Überbauung Klee, Zürich-Affoltern. (Foto: Forschungsteam Wohnumfeld)

Mit der 2014 im Raumplanungsgesetz verankerten Siedlungsentwicklung nach innen (Art. 1, Abs. 2 RPG) gerät das Wohnumfeld zunehmend unter Druck: Der wohnungsnahe Freiraum ist noch stärker umkämpft, da er von mehr Menschen genutzt wird; überdies reduziert sich der private Freiraum im Geschosswohnungsbau im Zuge baulicher Nachverdichtungen. Planerinnen und Planer sind gefordert, die negativen Folgen von höherer baulicher Dichte und höherer Nutzerdichte mit dem Bedürfnis der Menschen nach mehr Wohnumfeldqualität und nach ausreichendem und hochwertigem Freiraum in Einklang zu bringen. Damit steigen die Anforderungen an die Planung des Wohnumfelds. Es wird für Städte und Gemeinden immer wichtiger, Qualitätskriterien für ein gutes Wohnumfeld zu definieren und die zu deren Umsetzung erforderlichen Instrumente und Prozesse zu etablieren.

Daher hat das Forschungsteam Wohnumfeld mit Unterstützung von Innosuisse zuhanden von Städten und Gemeinden einen «Werkzeugkasten Wohnumfeldqualität und -planung»  entwickelt, mit dem sie ein hochwertiges Wohnumfeld planerisch sichern können.

  • Er definiert zunächst mit einem Kriterien-Set, was ein qualitätvolles Wohnumfeld ausmacht.
  • Er zeigt konkrete Handlungsansätze für die kommunale Planung.
  • Er liefert ein Argumentarium, das Eigentümerinnen und Eigentümer zur Umsetzung motiviert.

Zentral ist dabei das Portfolio der möglichen Handlungsansätze.

Zwiebel-Modell der räumlichen Gliederung des Wohnumfelds. (Abbildung: Forschungsteam Wohnumfeld (auf Grundlage Bayerisches Staatsministerium des Inneren 1990)

Handlungsmöglichkeiten für Städte und Gemeinden

Die Handlungsansätze beschreiben konkret diejenigen planerischen Möglichkeiten und Ebenen, wo die kommunale Raumplanung aktiv werden kann, und wie sie Freiraum- und Wohnumfeldqualität überhaupt oder vor dem Hintergrund einer Siedlungsentwicklung nach innen erhöhen kann. Der planungsrechtliche Kontext auf lokaler Ebene lässt für Städte und Gemeinden grundsätzlich fünf Stossrichtungen zu:

1. Freiraum- und Wohnumfeldqualität sichern auf gesamtörtlicher Ebene

Eine kommunale Strategie oder Konzeption steuert und koordiniert die Entwicklung des öffentlichen Freiraums und fliesst als Grundlage in Zonenplan- und Bauordnungsrevisionen ein (z. B. Freiraumstrategie Stadt Schaffhausen).

Die kommunale Freiraumstrategie sollte in eine kommunalen Gesamtplanung (Richtplan oder räumliches Entwicklungskonzept) eingebettet und mit anderen Sektoralplanungen abgestimmt werden, damit sie Behördenverbindlichkeit erhält (z. B. STEK Stadt Bern).

2. Qualität im privaten Wohnumfeld sichern in der eigentümerverbindlichen Planung

Für das private Wohnumfeld, für den Freiraum vor allem in Wohnsiedlungen werden Qualitätskriterien definiert. Sie werden durch ihre Verankerung im kommunalen Baureglement oder in den Nebenbestimmungen zur Baubewilligung grundeigentümerverbindlich. In der BZO ergänzte Kriterien fliessen in Sondernutzungsplanungen oder in qualifizierte Verfahren bei Arealentwicklungen ein bzw. werden bei der Beratung von Bauherrschaften und der Beurteilung von Bauvorhaben herangezogen (z. B. BZO der Gemeinde Sarnen, Art. 60).

3. Sensibilisierung für gute Lösungen durch Beratung, Planungsbegleitung und Wissensvermittlung

Informationen zu Qualitätsanforderungen werden von der strategischen Planungsebene bis zum Bauprojekt hin transportiert, sodass an den Schnittstellen sowohl von verschiedenen Planungsprozessen als auch zwischen allenfalls mehreren involvierten kommunalen Stellen kein Wissen verloren geht, sodass stets abgestimmt gehandelt wird (z. B. Freiraumberatung von Grün Stadt Zürich).

4. Kosten sparen durch proaktive und koordinierte Planung

Die Gemeinde ermittelt vorausschauend Kooperationsmöglichkeiten mit oder unter Bauherrschaften, die die Qualität von Planungs- und Baulösungen steigern und Kosten sparen. So können zum Beispiel in Innenentwicklungsgebieten parzellenübergreifende Wohnumfeld-Angebote «arbeitsteilig» zwischen verschiedenen Arealen entwickelt werden. Die Gemeinde weist dazu in ihrer Rahmen-Nutzungsplanung vorgängig solche Innenentwicklungsgebiete aus (z. B. durch eine überlagernde Zone) und fixiert allfällige kooperative Projekte in Sondernutzungsplanungen oder in privatrechtlichen Verträgen (z. B. Quartieraufwertungsprojekt der Gemeinde Spreitenbach; Sicherung von öffentlichen Freiflächen in der Gemeinde Baar).

5. Qualitätssicherung in der baulichen Umsetzung und im Bestand

Die Gemeinde begleitet Bauprojekte von der Projektierung und der Baueingabeprüfung über die Fertigstellung bis in die Nutzungsphase. Sie geht aktiv auf Liegenschaftseigentümer zu, bei denen sie Sanierungsbedarf oder Qualitätsmängel im Wohnumfeld erkennt und bietet Unterstützung bei deren Beseitigung an, zum Beispiel durch Koordinationsleistungen oder Hilfe bei der Erarbeitung eines Vorprojekts (z. B. Fachstelle Quartierentwicklung Gemeinde Pratteln).

Das Sicherstellen einer hohen Wohnumfeldqualität hilft dabei, Innenentwicklungsprojekte oder bauliche Nachverdichtungen sowohl unter den Nutzerinnen und Nutzern akzeptanzfähig zu machen oder in Quartieren, in denen Qualitätsmängel sichtbar werden Aufwertungsprojekte auf den Weg zu bringen. Der Leitfaden «Wohnumfeldqualität – Kriterien und Handlungsansätze für die Planung» formuliert die Handlungsmöglichkeiten aus. Als Handbuch oder Online-Handlungshilfe hilft er Fachpersonen und Entscheidungsträgern, fallbezogen ihre planerischen Einflussmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen – über alle Planungsphasen hinweg von der strategischen Planung über die Beurteilung von Bauvorhaben hinweg bis hin zur Qualitätsbewertung im Bestand.

Informationen zum Thema Wohnumfeld

Das Forschungsteam Wohnumfeld entwickelt Planungshilfen, mit denen die Raumplanung in Städten und Gemeinden die Wohnumfeldqualität langfristig sichern und weiterentwickeln kann. Die Website Wohnumfeld liefert relevante Informationen rund ums Thema Wohnumfeld für Raumplanerinnen und Landschaftsarchitekten, für Städte, Gemeinden und Eigentümer.

Der «Wohnumfeld-Browser» zeigt eine Vielzahl an Good-Practice Beispielen von Überbauungen mit attraktivem Wohnumfeld.

Jetzt für den 14.6. anmelden:

Kongress 10 Jahre RPG 1