Nationalrat bekennt sich zum Stabilisierungsziel

Samuel Kissling, Leiter Recht EspaceSuisse
Freitag, 07.07.2023
Das Resultat der nationalrätlichen Beratung der RPG 2-Vorlage ist mit Blick auf den Trennungsgrundsatz erfreulich. Die grosse Kammer sprach sich in der Sommersession für das Stabilisierungsziel und gegen zusätzliche Ausnahmen beim Bauen ausserhalb der Bauzone aus. EspaceSuisse begrüsst diese Entwicklung, macht jedoch vor der anstehenden Differenzbereinigung auf die kritischen Punkte aufmerksam.
Foto: Ronnie Schmutz, unsplash

Der Nationalrat übernahm das Geschäft (18.077) vom Ständerat, der vor gut einem Jahr eine Vorlage beschlossen hat, die aus raumplanerischer Sicht nicht akzeptierbar war (siehe «Im Fokus»-Artikel vom 28.6.2022). In unserem letzten Artikel haben wir denn auch gefordert, dass die grosse Kammer die Vorschläge ihrer Kommission ohne wesentliche Abstriche übernimmt und in einzelnen Punkten korrigiert (siehe «Im Fokus»-Artikel vom 22.5.2023). Dies ist weitestgehend gelungen, dennoch gibt es Differenzen zum Ständerat.

Stabilisierungsziel

Das sogenannte Stabilisierungsziel gilt als Herzstück der zweiten Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG 2). Auch der Nationalrat bekennt sich zum Ziel, die Anzahl Gebäude und die versiegelte Fläche ausserhalb der Bauzonen zu stabilisieren. Folgerichtig unterliegen alle Gebäude im Nichtbaugebiet dem Stabilisierungsziel. Bei der Flächenversiegelung ist der aktuelle Katalog mit Ausnahmen jedoch nach wie vor zu umfangreich (siehe «Im Fokus»-Artikel vom 22.5.2023). Hinzu kommt, dass Kommissionssprecher Jakob Stark in den ständerätlichen Beratungen explizit festgehalten hat, dass die Stabilisierung eine gewisse Dynamik im System zulasse: Ein durchschnittliches Wachstum von 2 Prozent soll ab der Schlussabstimmung als Stabilisierung gewertet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Kommission damit nicht ein jährliches Wachstum gemeint hat. Dies wären nämlich bei aktuell 618’000 Gebäuden ausserhalb der Bauzone rund 12’000 zusätzliche Gebäude. Vielmehr könnte diese Zahl als absolute Obergrenze für den zukünftig noch zulässigen Zuwachs verstanden werden.

Abbruchprämie

Um das Stabilisierungsziel zu erreichen, soll der Abbruch nicht mehr benötigter Bauten und Anlagen finanziell unterstützt werden. Die Abbruchprämie soll aber nur bei rechtmässig erstellten Bauten und Anlagen ausgerichtet werden und wenn kein Ersatzneubau erstellt wird. Es bleibt zu hoffen, dass der Ständerat auf diesen Vorschlag des Nationalrats einschwenkt.

Gebietsansatz fürs Berggebiet

Den sogenannten Gebietsansatz für nichtstandortgebundene Nutzungen will der Nationalrat – im Gegensatz zum Ständerat – auf das Berggebiet beschränken. Dieser Punkt dürfte noch für Diskussionen sorgen. Unter anderem steht die Definition des Berggebiets noch aus – erste Hinweise ergeben sich aber aus den Beratungen. Beide Räte sind sich aber einig, dass es Kompensations- und Ausgleichsmassnahmen braucht. Der Nationalrat ergänzte zudem, dass die Kantone im Richtplan festlegen müssen, wie dabei der Siedlungsstruktur, der Baukultur, der Umgebungsgestaltung, der Einpassung in die Landschaft sowie dem Erhalt der Biodiversität und des Kulturlandes Rechnung getragen wird. Diese Änderung ist zu begrüssen.

Landwirtschaftsfremde Wohnnutzung

Der Nationalrat will auch nichts von einer – im Rahmen des Gebietsansatzes – erleichterten Umnutzung von Ställen und Scheunen zum Wohnen wissen, wie es der Ständerat vorsah. Eine solche Regelung würde dem verfassungsrechtlichen Trennungsgrundsatz von Bau- und Nichtbaugebiet klar widersprechen.

Abgelehnt hat die grosse Kammer zu Recht auch neue Ausnahmen für angebaute Ökonomiegebäude. Zu gross war die Sorge, sie könnten zu Mehrfamilienhäusern mitten im Grünen werden. Da keine Differenz zum Ständerat besteht, ist das Thema demnach vom Tisch.

Mit einer Stimme Unterschied nahm der Nationalrat jedoch einen Antrag an, der im Umgang mit schützenswerten Bauten zu Unsicherheiten führt. Nationalrat Fabio Regazzi (Die Mitte/TI) möchte «eine vernünftigere und flexiblere Umsetzung der durchaus legitimen Grundsätze ermöglichen, die bei Eingriffen an weiterhin schützenswerten Gebäuden beachtet werden müssen». Als Beispiel nannte er die Rustici im Kanton Tessin. Bundesrat Albert Rösti wies zu Recht darauf hin, dass landschaftsprägende Bauten – Rustici fallen darunter – von der von Regazzi vorgeschlagenen Änderung nicht erfasst werden. Der Ständerat hat nun die Möglichkeit, diese Änderung wieder rückgängig zu machen.

Mehrwertausgleich

Der Nationalrat hat auch beim Mehrwertausgleich nachgebessert. Der Ständerat hatte einen widersprüchlichen – und auf den ersten Blick themenfremden – Einzelantrag angenommen. Dieser soll die Kantone anhalten, nur noch die Minimalregelung beim Mehrwertausgleich umzusetzen (20 % bei Einzonungen). Der Nationalrat hat nun einen neuen Absatz beschlossen, der die Gemeinden von Bundesrechts wegen ermächtigt , einen angemessenen Ausgleich erheblicher Mehrwerte zu regeln, die aus Um- und Aufzonungen entstehen – falls das kantonale Recht dies nicht schon tut. Auch vertragliche Lösungen sollen möglich sein. Mit Blick auf die Ziele von RPG 1 und den für die Innenentwicklung erforderlichen Mittel müsste der Ständerat diese Änderung übernehmen.

Weitere Bestimmungen

Der Nationalrat lehnte es ab, den Katalog der zonenkonformen Bauten und Anlagen in der Landwirtschaftszone zu erweitern. Hier gibt es keine grösseren Differenzen zum Ständerat. Neu regeln will der Nationalrat den Anspruch auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes für unbewilligte Nutzungen ausserhalb von Bauzonen. Dieser soll nach 30 Jahren verfallen. So verlangt es eine vom Parlament angenommene Motion. Eine Bestätigung dieser Anpassung durch den Ständerat dürfte wohl nur noch Formsache sein. EspaceSuisse hat sich dagegen ausgesprochen (siehe PDF-Dokument unten: Artikel zum Trennungsgrundsatz im Inforaum 3/2021).

Zurück an den Ständerat

Die Beschlüsse des Nationalrats bringen die RPG 2-Vorlage wieder auf Kurs. Der Rat ist in den wesentlichen Punkten seiner Kommission gefolgt und hat einige umstrittene Anträge verbessert. Mit Blick auf den verfassungsmässigen Grundsatz der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet ist das erfreulich. Und auch die Anforderungen an einen indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative dürften mit dieser Vorlage erfüllt sein. Die derzeitige politische Grosswetterlage lässt voraussichtlich keine bessere Lösung zu. Es ist trotzdem zu bedauern, dass die Politik dem Natur- und Landschaftsschutz angesichts der aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel und Biodiversitätskrise derzeit kein grösseres Gewicht beimisst.

Das Geschäft ist bereits wieder in der ständerätlichen Kommission UREK-S. Diese hat Anfang Juli mit der Beratung der Differenzen begonnen, konnte sie jedoch nicht abschliessen. Sie wird sich Ende August nochmal damit befassen. Danach muss der Ständerat auf die meistens sehr klaren Entscheide des Nationalrats reagieren. Geht er in die gleiche Richtung, so dürfte das lange Kapitel RPG 2 bald abgeschlossen sein.

Allerdings sind nach wie vor einige Fragen offen: Die Revision erweckt – vor allem mit den Bestimmungen zum Stabilisierungsziel – hohe Erwartungen. Die Umsetzung des Beschlossenen bringt grosse Herausforderungen mit sich. Und: Die Akteure der Raumplanung müssen die notwendigen Ressourcen bereitstellen, damit es gelingt, die neuen (und bestehenden) Regeln zum Bauen ausserhalb der Bauzone umzusetzen.

Weiterführende Informationen

Zur 2. Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes sind bereits folgende Artikel erschienen:

Die Stellungnahme von EspaceSuisse zur ursprünglichen Vernehmlassungsvorlage RPG 2 finden Sie hier, ein Dossier zu RPG 2 hier.

Inforaum 3/2021: Artikel zum Trennungsgrundsatz

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